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Nicole König und Wolfgang Thies




Rauchstr. 25. Vor der syrischen Botschaft.

<<  entstand und einen ausschnitthaften Einblick in die Situation von AsylbewerberInnen in Deutschland geben mag.

Daneben stellten wir die aktuellen - vom syrischen Konflikt geprägten- Flüchtlingsstatistiken sowie Erläuterungen zu den Verfahren, innerhalb welcher Aufnahmeanträge behandelt werden.

In einer Diashow waren zudem eher unspektakuläre Bilder zu sehen, die in der Woche nach der "Stürmung" (laut Berliner Zeitung) der syrischen Botschaft durch syrische Protestanten Anfang Oktober aufgenommen wurden; nun -auch auf persönliche Initiative des Außenministers Guido Westerwelle- vor etwaigen "Übergriffen" geschützt von deutscher Polizei.

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Rauchstr. 25. Vor der syrischen Botschaft
Oktober 2012

 

Rauchstr. 25. Vor der syrischen Botschaft
4. Juni 2007. Montag morgen, 8.30 Uhr.

Die Haustür öffnet sich, ein Wachmann erscheint vor der grausteinernen Villa, schlendert zum Gartentor, läß seinen Blick die Straße hinauf und hinab schweifen, leert den Briefkasten und verschwindet wieder.
Kurz darauf fährt ein dunkler Wagen vor, hinterm Steuer eine Dame mittleren Alters im blumigen Sommerkleid, an ihrer Seite ein beanzugter Herr. Kaum steigen beide aus, eilen zwei breitschultrige Angestellte herbei, grüssen und werden geflissentlich übersehen. Die vier gehen gemeinsam hinein.

Wenig später entlädt ein Auto mit Saarbrücker Kennzeichen eine mehrköpfige Familie. Die Angereisten laufen einige Meter suchend auf und ab, bevor sie das Konsulat betreten.

Ich stehe auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Meine Sorge, diejenigen, mit denen ich verabredet bin, nicht zu erkennen, schwindet, als ein Paar um die Ecke biegt und mir freundlich zulächelt. Wir schütteln einander die Hände und begeben uns ebenfalls in das Gebäude.

Gleich hinter der Tür sitzt der Briefkastenleerer am Schreibtisch. Er erbittet Namen und Anliegen. Gewissenhaft trägt er unsere Angaben in ein Besucherbuch ein. Dann verweist er nach nebenan ins Wartezimmer. An den Wänden hängt zweimal im Großformat Baschar al- Assad, davor stehen mehrere Ledersofas- und sessel. Linkerhand befindet sich eine weitere Tür, vermutlich die zu den Amtsstuben.

Die Saarbrücker Großfamilie ist bereits da. Frau X. und ich setzen uns nebeneinander auf zwei freie Plätze und werden von den einsinkenden Kissen verschluckt. Auf diese Weise beinahe familiär zieht Frau X. einen Stapel Papiere aus ihrer Tasche. Zunächst das Formular der Ausländerbehörde, das Frau X.‘ s Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung bescheinigt und in knapper Form besagt, daß Frau X. als deren Voraussetzung einen gültigen Paß benötigt. Sodann mehrere Kopien arabischer Dokumente, einige ins Deutsche übersetzt und beglaubigt. Darunter der Ausweis der Mutter und die Meldebescheinigung des Vaters als Ausländer in Syrien.
Keine Originale.

Frau X. erzählt mir, daß ihre Eltern in Syrien leben und der Vater über 80 Jahre alt sei. Sie selbst wurde dort 1977 geboren, befinde sich aber seit mehr als sieben Jahren in Deutschland. Wo? Im Asylantenheim. Sie habe zwei Töchter, sieben und vier Jahre alt, die beide in der Bundesrepublik zur Welt kamen. Ihr Mann sei seit einigen Monaten fort. Ich frage, ob sie zurück nach Syrien möchte. Nein, antwortet sie entschieden, ich will in keinem islamischen Land leben.

Das Gespräch versiegt. Wir warten. Langsam schlafen meine Glieder ein. Zwischenzeitlich hat sich der Raum gefüllt, längst ist nicht mehr ausreichend Platz vorhanden. Es herrscht reges Treiben, durch beide Türen kommen und gehen Menschen, verhandeln gleich vor unserer Nase ihre persönlichsten Angelegenheiten. Auf der einzigen Ablage, einem Couchtisch, stellt ein Beamter Dutzende neuer Pässe aus.

Ich habe eine französische Zeitung vom Wochenende dabei. Die Titelseite zeigt jubelnde Libanesen, die den von der Uno angestrengten Prozeß gegen die Attentäter Hariris feiern. Ich bin nicht sicher, ob die Lektüre des Blattes an diesem Ort opportun ist.

Frau X. ist blaß und nervös. Ich nehme eine der syrischen Landkarten, die wohl zwecks Werbung ausgelegt sind, und bitte sie, mir den Ort ihrer Herkunft zu zeigen. Sie reagiert nicht. Sie sagt, sie habe Angst. Weil sie nun Geld verdienen müsse und nicht wisse, wie. Weil sie nicht straffällig werden wolle.

Nach einigem Ringen gehe ich zu dem Portier, um zu erfragen, wie lange es noch dauere. Entschuldigend antwortet er, der zuständige Sachbearbeiter käme heute bestimmt. Es ist mittlerweile 11 Uhr, die Luft wird stickig. Frau X. geht vor die Tür. Ich unterhalte mich mit ihrem Begleiter, einem Cousin. Er gehört einer syrischen Selbsthilfegruppe an, die sich organisiert hat, um Flüchtlinge zu unterstützen. Er berichtet vom Fall einer Mutter, die auf der Grundlage eines negativen psychiatrischen Gutachtens das Sorgerecht für ihr Kind verlor. Nach Gegengutachten und Prozeß wurde das Kind zurückgegeben. Der Cousin meint, Frau X. befürchte ähnliches, weil sie ihre Töchter wegen der heutigen Fahrt allein gelassen habe.

Wir werden gemahnt, nicht im Weg herumzustehen und setzen uns erneut. Frau X. gesellt sich wieder zu uns. Mein Nachbar bla¨ttert in einer Zeitschrift, bunte Bilder von Frau Merkel auf Staatsbesuch in Syrien. Er lacht, meint, die syrischen Verantwortlichen vergäßen bei solchem Anblick die Politik.
Plötzlich durchquert ein korpulenter Mann zielstrebig das Wartezimmer. Sein Gehabe kann nur das eines Amtsträgers sein. Frau X. und ich gucken uns an. Tatsächlich, er ist es. Man erklärt uns, der Verantwortliche sei eingetroffen. Alle drei stehen wir auf, doch der Cousin wird mit der Begründung zurückgehalten, es seien maximal zwei Personen zugelassen.

Durch einen Gang begeben sich Frau X. und ich zum angewiesenen Büro. Der Dicke erhebt sich, man reicht sich die Hände, ich erkläre meine Anwesenheit. Sofort kanzelt er mich ab, wozu Zeugen?
Der syrische Staat versuche ohnehin nach besten Kra¨ften seinen Angehörigen zu helfen. Ich kontere, dies verlange eben die deutsche Gesetzgebung.
Nachdem Frau X. ihre Papiere vorgelegt hat, l6üßt er seinem Unmut freien Lauf. Immer kommen diese Leute mit solchem Kokolores. Es folgt ein arabischer Wortwechsel. Meinem Auftrag gemäß bitte ich um deutsche Übersetzung. Er antwortet harsch, kein Problem, ich rufe sowieso die Ausländerbehörde an, da können Sie gerne protokollieren, was immer sie wollen.

Er telefoniert. Keine Antwort. Empört schwenkt er ein Schreiben in der Luft, hier stehen die Öffnungszeiten, und? Niemand zu erreichen! Dann nimmt er zwei Handys, nun einen Hörer an jedem Ohr. Mehrere Telefonate auf arabisch, Habibi.
Endlich nimmt jemand bei der Behörde ab. Das Gespräch wird vermittelt. Ein syrischer Sachbearbeiter redet mit einer deutschen Sachbearbeiterin. Die beiden können sich leicht verständigen.

Er erklärt ihr, daß er Frau X. keinen Paß aushändigen könne, da Frau X. keine Originaldokumente besitze. Selbst, wenn sie welche besäße, wäre es ihm unmöglich, denn ihr Vater sei als Ausländer in Syrien gemeldet. Die bayrisch sprechende Beamtin am anderen Ende der Leitung antwortet, aha, dann muß sich die Frau X. eben anderswo um eine Staatsangehörigkeit bemühen. Frau X. hat Tränen in den Augen.

Ich frage, ob Frau X. nicht doch in Syrien an eine Geburtsurkunde gelangen könne? Nein. Er wolle ja nichts unterstellen, die Frau sehe ganz anständig aus. Aber wer könne wissen, ob es sich bei den Kopien nicht um Fälschungen handele? Woher der Vater stamme? Das seien doch wahrscheinlich Zigeuner. Leute ohne festen Wohnsitz. Vielleicht wären sie im Irak geboren oder in der Türkei. Ich antworte, vermutlich im osmanischen Reich.

Mir bleibt, den Namen dieses Herrn festzuhalten. Nach einem kurzen Katz- und Mausspiel schreibt er ihn schließlich auf. Dann entläßt er uns gnädig. Hinter der Tür treffen wir unseren Helfer. Er hat nichts anderes erwartet. Fünf Stunden nach unserem Eintreffen verlassen wir die Botschaft wieder. Auf Bitte des Cousins hin entfernen wir uns einige Meter von dem Grundstück. Dann erklärt er, die syrische Regierung habe ein Problem mit der kurdischen Minderheit. Um deren Zahl nicht zu vergrößern, wolle sie viele nicht als StaatsbürgerInnen anerkennen.

Ich verspreche Frau X. mein Protokoll zu schicken zum Beweis, daß sie vor Ort war und die Arbeit der Ausländerbehörde nicht behindert habe. Frau X. wird wahrscheinlich keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten und darf folglich keine Arbeit annehmen. Gleichzeitig entgeht sie der Abschiebung, weil ihre Herkunft unbekannt bleibt.
Wir verabschieden uns.

­Infolge der leidvollen Erfahrungen zahlloser EmigrantInnen während des Nationalsozialismus bei der (häufig vergeblichen) Suche nach Zuflucht wurde im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 1948 ein weitreichendes Asylrecht verankert. Der Artikel 16 Abs. 2 GG hielt fest
”Politisch Verfolgte genießen Asylrecht”.

1993 einigten sich SPD, CDU/ CSU und FDP auf umfangreiche Änderungen des Gesetzes, unter anderem die sogenannte Drittstaatenregelung. Letztere ermöglicht, jene Flüchtlinge, die über europäische und nicht- europäische Nachbarländer einreisen, zurückzuweisen. Die Flucht über Land nach Deutschland wird damit faktisch ausgeschlossen.
Auch das sogenannte Flughafenverfahren, ein Eilverfahren, bei welchem die Anhörung unmittelbar nach Ankunft ohne Vorbereitung unter haftähnlichen Bedingungen stattfindet, wurde neu eingeführt.

Für die wenigen Flüchtlinge, denen es dennoch glückt, alle realen und administrativen Hindernisse zu überwinden, bleibt die Erfolgsaussicht denkbar gering:
Zwischen 1. Januar und 31. August 2012 etwa wurden 33.284 Erstanträge gestellt, davon allein 2963 von Menschen syrischer Herkunft.
Nur 1.4 % davon wurden gemäß Art. 16 a GG in diesem Zeitraum als asylberechtigt anerkannt.